Modell für einen verbesserten Zugang zur psychosozialen Versorgung für Kinder und Jugendliche

Auftraggeber: BMSGPK
Laufzeit: Jänner 2021 bis Dezember 2022
Ansprechperson GÖG: Sophie Sagerschnig

Im Jahr 2014 erfüllte gemäß der Studie „Mental Health in Austrian Teenagers“ (MHAT‐Studie) rund ein Fünftel der 10‐ bis 18‐Jährigen die Diagnosekriterien gemäß DSM‐5 für zumindest eine psychische Erkrankung (Punktprävalenz), und rund 13 Prozent sollten aufgrund deren Schweregrads unbedingt eine professionelle Behandlung erhalten (Wagner et al. 2017; Zeiler et al. 2018). Allerdings wurde knapp die Hälfte der in der MHAT‐Studie solchermaßen identifizierten Jugendlichen bisher nirgends wegen einer einschlägigen Erkrankung vorstellig und suchte keine adäquate Behandlung auf (Fliedl et al. 2020). Zusätzlich sind seit Beginn der COVID‐19‐Krise steigende psychosoziale Belastungen in der gesamten Bevölkerung sowohl in der klinischen Praxis und in Studien als auch in dem durch das BMSGPK initiierten Surveillance der psychosozialen Gesundheit erkennbar, wobei Kinder und Jugendliche zu den psychisch am stärksten betroffenen Gruppen gehören. Eine zentrale Herausforderung ist der schnelle und niedrigschwellige Zugang zu psychosozialen Unterstützungsangeboten. Die psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen ist – im Vergleich zu jener von Erwachsenen – jedoch von einer besonders großen Komplexität in Hinblick auf die bestehenden Versorgungsstrukturen geprägt.  Ziel des gegenständlichen Projekts, welches von BMSGPK und DVSV beauftragt wurde, war es, analog zum bereits vorliegenden Modell für Erwachsene idealtypische Zugangswege für Kinder und Jugendliche zu psychosozialen Unterstützungsangeboten unter Berücksichtigung ihrer Lebensrealitäten (z. B. Schule, Familie) zu definieren. 

Neben der Analyse von Daten der Sozialversicherung zur bisherigen Inanspruchnahme von psychotherapeutischen Leistungen und Leistungen der klinisch‐psychologischen Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen wurden eine Fokusgruppe mit Expertinnen und Experten sowie qualitative Interviews mit Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen zur Erfassung des Status quo der Zugangswege und der psychosozialen Versorgung sowie zu hilfreichen bzw. erschwerenden Faktoren und mögliche Verbesserungspotenziale durchgeführt. Parallel dazu wurden ausgewählte Modelle der aktuellen psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen recherchiert und anhand ihrer Stärken und Schwächen analysiert. Die aus den vorhergehenden Arbeitsschritten abgeleiteten Erkenntnisse waren die Grundlage für die Entwicklung eines ein Konzept zur Optimierung des Zugangs für Kinder und Jugendliche zu psychosozialen Unterstützungsangeboten.

Zentrale Drehscheibe des empfohlenen Modells sind die zahlenmäßig aufzustockenden und an die Bedürfnisse auch von Jugendlichen anzupassenden multiprofessionellen Einrichtungen (Beratungsstellen/Ambulatorien). Diese One‐Stop‐Shops können entweder direkt aufgesucht werden oder via Vermittlung über Hotlines, den schulischen/außerschulischen, den niedergelassenen und den stationären Bereich oder auch online per Chat erreicht werden. Wer nicht in diesen Stellen beraten oder behandelt wird, wird in der Systemnavigation unterstützt und qualifiziert an den niedergelassenen oder stationären Bereich oder an weitere psychosoziale Angebote weitervermittelt. Nachholbedarf besteht bei den meisten bereits existierenden multiprofessionellen Angeboten in der Bedürfnisorientierung (Öffnungszeiten, Möglichkeit mit Freundinnen und Freunden zu kommen …) und Niedrigschwelligkeit (Beratung ohne e‐card, Chatberatung …) und natürlich in der zahlenmäßigen Verfügbarkeit.

Abgesehen von Ausbau und Adaption im Bereich der multiprofessionellen Angebote werden in weiteren Bereichen Handlungsnotwendigkeiten gesehen (Ausbau der Sachleistungsversorgung mit Psychotherapie, klinisch‐psychologischer Behandlung, kinder‐ und jugendpsychiatrischer Behandlung sowie Home‐Treatment, Ausbau der schulischen Unterstützungssysteme, Ausbau von Telefon‐ und Chatberatung, Kompetenzsteigerung bei Fachleuten, Erhöhung der psychosozialen Gesundheitskompetenz in der Gesamtgesellschaft, Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen).

Weiterlesen: 
Modell für einen verbesserten Zugang zur psychosozialen Versorgung für Kinder und Jugendliche