GÖG-Colloquium in Zusammenarbeit mit dem EHFG | Gesundheit, Nachhaltigkeit und Wohlergehen: COVID-19 als Gamechanger?

Beginn der Veranstaltung
06.09.2021 17:30 Uhr
Ende der Veranstaltung
06.09.2021 19:00 Uhr
Veranstaltungsort
Online-Veranstaltung via Zoom
Foto Ilona Kickbusch
Foto Clemens Martin Auer

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Spätestens seit der Pandemie ist es nicht mehr wegzudiskutieren: Gesundheit ist mit allen Gesellschaftsbereichen verbunden. Warum Health in all Policies in vielen Ländern noch immer nicht Realität ist und welche Auswirkungen die SDGs der Agenda 2030 auf das Gesundheitssystem haben können, darüber sprachen Ilona Kickbusch, Clemens Martin Auer und Peter Nowak bei einem GÖG-Colloquium.

Begrüßung
Herwig Ostermann, Geschäftsführer Gesundheit Österreich GmbH
 
Interview
Ilona Kickbusch, Vizepräsidentin des European Health Forum Gastein; Gründungsdirektorin und Vorsitzende des Global Health Centre, Graduate Institute of International and Development Studies Geneva

Clemens Martin Auer, Präsident des European Health Forum Gastein; Sonderbeauftragter für Gesundheit, Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

Peter Nowak, Leiter der Abteilung Gesundheitskompetenz und Gesundheitsförderung, Gesundheit Österreich GmbH

Kurzvortrag: "Zwei Krisen, die SDG und ihre Chancen für die Reorientierung des Gesundheitssystems"

Moderation
Andrea Fried, Gesundheit Österreich GmbH

„Die Krise hat uns gezeigt, wie sehr die Lebensbereiche der Menschen miteinander verknüpft sind und einen Einfluss auf ihr Wohlergehen haben und wie eng alle Politikbereiche zusammenhängen“, betonte Herwig Ostermann in seiner Begrüßung. Die COVID-19-Pandemie könne daher auch als Chance gesehen werden, das Wohlergehen der Bevölkerung als eine politikfeldübergreifende Aufgabe zu sehen, die eng mit Fragen der Nachhaltigkeit verknüpft ist. Es sei daher wichtig, Lösungen im Sinne der Sustainable Development Goals (SDGs) für diverse gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln.

Ilona Kickbusch betonte, dass es viele Politikbereiche brauchen werde, um die Folgen der Coronavirus-Pandemie zu bewältigen. Die Folgen der Krise wären vielleicht nicht so immens, hätte Health in All Policies in der Politik einen größeren Stellenwert. Die Pandemie habe gezeigt, wie groß gesellschaftliche Ungleichheiten sind – innerhalb von Nationalstaaten, aber vor allem auch weltweit betrachtet. Gesundheitspolitik habe sich zur Geopolitik entwickelt und Fragen der weltweiten Solidarität aufgeworfen. Im akademischen Diskurs sei in diesem Zusammenhang die Forderung nach einem „neuen sozialen Vertrag“ laut geworden, um diesen Ungleichheiten zu begegnen. Das oberste gesellschaftspolitische Ziel sollte daher das Wohlergehen der Menschen sein, wie es beispielsweise in Konzepten wie der Gemeinwohlökonomie oder der Donut-Ökonomie oder in Strategien wie den SDGs ausgearbeitet wurde. Für die Förderung des Wohlergehens brauche es daher abgestimmte Aktivitäten in allen Gesellschafts- und Politikbereichen und ein neues Politikverständnis, also eine Abkehr vom „Silodenken“ sowie Investitionen in Public Health.

Clemens Martin Auer teilte diese Einschätzung, dass es ein neues politisches Denken bzw. Paradigma brauche. Er wünsche sich daher „keine Rückkehr zur Normalität“ im Sinne einer Gesundheitspolitik als Silopolitik. Für viele gesellschaftliche Herausforderungen würden die SDGs Zielrichtungen vorgeben, sie müssten jedoch – da sie global gedacht seien – auf den nationalen Kontext angewandt und „übersetzt“ werden. Es brauche aber auch globale Investments und abgestimmte Handlungen, um den globalen Herausforderungen zu begegnen.

Die österreichische Gesundheitsreform wird seit einigen Jahren als Zielsteuerungssystem umgesetzt. In der ursprünglichen Konzeption standen fiskalische Ziele im Zentrum. Die Pandemie habe allerdings gezeigt, dass es zuerst gesamtgesellschaftliche Ziele brauche, um davon gesundheitspolitische Ziele abzuleiten und eine nachhaltige Gesundheitspolitik im Sinne der SDGs zu betreiben. Als zentralen Ansatz sieht Auer die Entwicklung und den Ausbau einer multiprofessionellen Primärversorgung.

Abschließend hielt Peter Nowak in seinem Input fest, dass uns aktuell eigentlich zwei Krisen und ihre Chancen beschäftigen: die Coronavirus-Pandemie und der Klimawandel. Die Pandemie sei als ein komplexes System zu verstehen, das nicht durch Einzelinterventionen beeinflusst werden könne. Es brauche daher ein Bündel an Maßnahmen, das auf unterschiedlichen Ebenen ansetze. Im wissenschaftlichen Diskurs werde die Pandemie auch als Chance gesehen, Public Health neu zu denken, um dadurch auch auf den Klimawandel positiv Einfluss zu nehmen. In diesem Zusammenhang seien auch die SDGs als globale Antwort zu sehen, die die relevanten Interventionsbereiche aufzeigen, die aber immer integriert betrachtet werden müssen (ökologische, soziale und ökonomische Dimensionen beeinflussen sich wechselseitig). Im Hinblick auf das Gesundheitssystem sieht Nowak zehn „neue“ Orientierungen für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem:

  • Gesundheitsförderung als integrierter Teil des Gesundheitssystems – „reorient health services“
  • Gesundheitskompetenz – persönliche und digitale Kommunikation und Verstehen fördern
  • psychosoziale Gesundheit – den Esprit und die Zuversicht der Menschen wecken
  • Nachbarschaften und soziale Verschreibung entwickeln – soziale Netze stärken
  • Primärversorgung – vernetzt und multiprofessionell ausbauen
  • Bürgerbeteiligung – Selbstbestimmung, Führung und Koproduktion
  • regionale Vernetzung – Resilienz durch lokale Kooperation
  • politikfeldübergreifende Kooperation auf nationaler Ebene strukturell verankern 
  • Klimaschutz und –anpassung – Gesundheitssystem ist selbst entscheidend
  • komplexe Interventionen - Interventionsforschung ausbauen, Lernen aus Prozessen