Online-GÖG-Colloquium | Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) – ein Vorbild für Österreich?

Beginn der Veranstaltung
15.02.2021 18:00 Uhr
Ende der Veranstaltung
15.02.2021 20:00 Uhr
Veranstaltungsort
Online-Veranstaltung
Prof. Hecken

Prof. Josef Hecken ist seit 1. Juli 2012 unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Von 2004 bis 2008 war Hecken saarländischer Justiz- und Gesundheitsminister und von 2009 bis 2012 Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Von Betroffenen zu Beteiligten

„Der Patient steht im Mittelpunkt – dieser Satz fehlt bei keiner politischen Rede, ist aber oft nicht mehr als ein frommer Wunsch“, bringt es der Experte gleich zu Beginn sehr pointiert auf den Punkt und präsentiert dann seine Erfahrungen, wie Betroffene zu Beteiligten werden können. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, beschließt in Form von Richtlinien, welche medizinischen Leistungen die ca. 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland beanspruchen können. Dabei ist die Beteiligung von Organisationen verankert, die auf Bundesebene maßgeblich die Interessen von Patienten/-innen und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen vertreten. Sie besitzen im G-BA das Recht, mitzuberaten und eigene Anträge zu stellen. Eine im Jahr 2004 eigens eingerichtete Stabsstelle Patientenbeteiligung unterstützt ausschließlich die Patientenvertreter/-innen bei der Wahrnehmung dieser Antrags- und Mitberatungsrechte organisatorisch und inhaltlich. „Die Patientenbeteiligung ist kein lästiges Beiwerk, sondern eine unabdingbare Voraussetzung, um aktive patientenorientierte Entscheidungen treffen zu können“, sagt Hecken.

Eine starke Gemeinschaft

Insgesamt nehmen aktuell ungefähr 220 ständige und themenbezogene Patientenvertreter/-innen aktiv das Mitberatungsrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) wahr. „Diese Interessenvertretung der Patienten/-innen ist eine starke Gemeinschaft. Sie repräsentiert die Patientenvielfalt: akut oder chronisch krank, leicht oder schwer beeinträchtigt, jung oder alt“, beschreibt Hecken. Ziel ist die Verbesserung der Patientensicherheit und eine Versorgung, die den Nutzen im Hinblick auf die Lebenszeit, die Linderung der Erkrankung sowie die Lebensqualität steigert. Dafür wird auf das bestverfügbare Wissen einschließlich der Erfahrung der Betroffenen zurückgegriffen. „Wir setzen uns dafür ein, das Wissen über gute und sichere Versorgung zu vermehren. Die Methode der Evidenzbasierung hilft uns, die Zuverlässigkeit des Wissens über Sicherheit und Nutzen von Behandlungsmethoden zu prüfen“, ist im Leitbild der Stabsstelle Patientenbeteiligung des G-BA verankert.

Patientenvertreter/-innen werden dafür von den maßgeblich anerkannten Patienten- und Selbsthilfeorganisationen als sachkundige Personen einvernehmlich benannt. Für die Entscheidung, wer bzw. wie benannt wird, haben sich die maßgeblichen Patienten- und Selbsthilfeorganisationen auf Benennungskriterien verständigt, die sich zum einen auf die sachkundigen Personen selbst, zum anderen auf die entsendenden Organisationen beziehen. Anliegen ist es, die Patientenbeteiligung im G-BA möglichst effektiv, transparent und vor allem frei von Interessenkollisionen zu gestalten. „Diese Patientenvertreter/-innen kennen die wirkliche Versorgungssituation und das ist ihre große Stärke“, betont Hecken.

Was heimische Experten und Expertinnen dazu sagen

An der im Anschluss an den Fachvortrag organisierten Podiumsdiskussion beteiligten sich DI Martin Brunninger, MEng, MSc, (Dachverband der Sozialversicherungsträger), Mag.a Patrizia Theurer (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), Angelika Widhalm, Vorsitzende Bundesverband Selbsthilfe Österreich (BVSHOE) sowie die Gastgeber/-innen Mag.a Gudrun Braunegger-Kallinger, Österreichische Kompetenz- und Servicestelle für Selbsthilfe (ÖKUSS) und ao. Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann von der Gesundheit Österreich GmbH.

„Wer laut schreit, der wird gehört“, beschreibt Angelika Widhalm, Vorsitzende Bundesverband Selbsthilfe Österreich (BVSHOE), einleitend die Situation in Österreich aus ihrer Sicht und ergänzt die Tatsache, dass „wir hierzulande von den deutschen Strukturen der Patientenvertretung noch weit entfernt sind“: „Im Parlament sind Patientenvertreter/-innen gleich Behindertenvertreter/-innen, damit werden Menschen mit seltenen oder chronischen Erkrankungen nicht gehört.“

Plakativ ist auch die Beschreibung des Status quo der Patientenvertretung, die Mag.a Patrizia Theurer vom BSGPK vornimmt: „Vergleichen wir es mit einem Kind. Wir haben in den letzten Jahren solide Kinderschuhe ausgewählt, jetzt müssen wir dem Kind auch das Laufen beibringen und dazu braucht es, so wie in der Familie, mehr als nur eine Unterstützerin bzw. einen Unterstützer.“

DI Martin Brunninger, MEng, MSc vom DV der Sozialversicherungsträger will ebenfalls die Strukturen festigen und weiter verbessern: „Wir finanzieren Patientenbeteiligung mit einer Million Euro pro Jahr, was nicht heißt, dass es kein Potenzial zu Verbesserung gibt, denn es geht um die Kosteneffektivität, also dass das Budget auch dort ankommt, wo es soll und die Qualität im Gesundheitswesen verbessert wird.“

Dass Patientenbeteiligung einen höheren Stellenwert haben und strukturell verankert sein muss, darin sind sie die Teilnehmer/-innen der Podiumsdiskussion einig. „Patientenorientierung sollte allen im Gesundheitswesen ein Anliegen sein, dafür braucht es gelebte Patientenbeteiligung mit transparenten Regelungen und einer entsprechenden Supportstruktur“, fordert ÖKUSS-Leiterin Mag.a Gudrun Braunegger-Kallinger und ergänzt: „Wir sind überzeugt, dass die Erfahrungs- und NutzerInnenperspektive auf jeden Fall einen Mehrwert hat.“ Auch ao. Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann von der Gesundheit Österreich GmbH schlägt in diese Kerbe: „Ich wünsche mir, dass man sich in Zukunft gut erklären muss, wenn man die Perspektive der Betroffenen nicht berücksichtigt!“ Seinen Beitrag will Ostermann leisten, indem er das Thema Patientenbeteiligung im Gespräch hält: „Wir werden nicht müde darüber zu erzählen, dass Patientenbeteiligung ein breites Konzept ist, zu dem es jetzt eine Strategie und einen Politikprozess benötigt und für das wir als GÖG und ÖKUSS die Plattform bieten wollen.“

Die Vortragsfolien von Prof. Hecken finden Sie HIER.

Der Vortrag von Prof. Hecken steht als VIDEO zur Verfügung.
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